Vorra I

  • Herrenhaus, „altes Schloss“
  • Hirschbacher Straße 2
  • Gemeinde Vorra
  • Landkreis Nürnberger Land


Ein Herren- oder vielleicht zunächst nur ein Verwaltungssitz entstand provisorisch 1601/02 auf der nahe der Pegnitz gelegenen Hofstelle, die Carl Tetzel von Kirchensittenbach (1557–1611) von Jobst Pamler gekauft hatte. Die Adaption des nur eingeschossigen Bauernhauses erfolgte, nachdem der Nürnberger Patrizier die Hofmark Vorra 1597 von Georg Sebastian Stiebar von Pretzfeld erworben hatte und sich nach langjährigen Streitereien mit seinem Bruder Jobst Friedrich in Kirchensittenbach wohl einem eigenen Gut widmen wollte [vgl. Kirchensittenbach III]. Die Reichsstadt förderte den Erwerb mit einem zinslosen Darlehen von 4.000 Gulden, damit die in ihrem Territorium gelegene Grundherrschaft in Nürnberger Hände kam, denn der Vorbesitzer war kein Bürger, sondern im Kanton Gebürg der fränkischen Reichsritterschaft eingetragen.

1601 kaufte Carl Tetzel dem Bamberger Stift St. Jakob die Vorraer Zehntrechte ab, wozu unmittelbar darauf im Hofraum des Sitzes ein großer Zehntkasten gebaut wurde, der auf älteren Darstellungen unmittelbar südlich des Herrenhauses zu erkennen ist. Nach seinem Tod am 23. Januar 1611 verwaltete dessen Witwe Anna die Hofmark bis zum 2. Februar 1618, als der Sohn Hans Jakob Tetzel (1565–1646) nach einem Vergleich mit seinen zwei Geschwistern das Erbe übernahm. Dieser begann sein Wirken in Vorra mit großem Tatendrang, denn er ließ nicht nur das „Vorracher Saalbuch“ anlegen, in dem alle Güter, Rechte und Ordnungen der Hofmark zusammengetragen wurden, sondern begann 1618 auch mit einem Umbau des ehemals Pamlerschen Hauses zu einem zweigeschossigen Herrenhaus sowie mit der Errichtung eines Badehäusleins und einer Hofmauer, die den bisher ungesicherten Sitz einfriedete.

Kein Geringerer als der Nürnberger Zeichner und Kartograph Hans Bien wurde zehn Jahre später beauftragt, einen Situationsplan der Hofmark anzufertigen, der sich bis heute erhalten hat. Er zeigt das damals neue Herrenhaus aus der Vogelschau als einen zweigeschossigen, annähernd quadratischen Bau mit einem über die ganze Hausbreite gestreckten Zwerchhaus, das auf die nördliche Giebelseite gesetzt worden war. Da ein Pendant auf der südlichen Seite fehlte, darf Vorra als besondere, auch relativ junge Variante dieser typisch Nürnberger Dachlandschaft gelten [vgl. Neunhof bei Kraftshof, Schwarzenbruck, Ziegelstein I]. Bien stellte auch die übrige Bebauung des Sitzes dar: südlich des Herrenhauses der große Zehntgetreidekasten von 1601 und an seiner Westseite angebaut der Schlossstadel. Ein westlich des Hofraums benachbartes Wohnhaus könnte ein Voit- und/oder Amtshaus gewesen sein.

Mitten im 30-jährigen Krieg erwarb Hans Jakob Tetzel 1626 das Rittergut Artelshofen von der Erbengemeinschaft Harsdorfer [vgl. Artelshofen] und erlebte 1631 die Besetzung Vorras durch kurbayerische Truppen. Erst 1635 gelang es ihm unter Aufbringung von angeblich 10.000 Reichstalern, die konfiszierten Besitzungen Artelshofen und Vorra wiederzuerlangen. Nach seinem Tod fiel Vorra 1646 an den Sohn Philipp Jakob, der seit 1660 als Pfleger das reichsstädtische Amt Engelthal leitete. Dort ist noch heute der so genannte Tiergarten bekannt, den Tetzel seinerzeit zu seinem Zeitvertreib anlegen ließ. Hier wurde er 1669 durch einen Hirsch angegriffen und tödlich verletzt.

Daraufhin trat sein Bruder Gustav Philipp, der ihm 1665 schon Artelshofen abgekauft hatte, in die Verwaltung von Vorra ein, die er 1689, zwei Jahre vor seinem Tod, dem Sohn Gustav Georg Tetzel übergab. Dieser war seit 1683 mit Anna Maria Peller von Schoppershof verheiratet und musste wegen seiner großen Verschuldung im Jahre 1707 das Gut Vorra seinem Schwiegervater Jobst Christoph Peller (1638–1709) für 30.000 Gulden verkaufen. Das führte aber zu heftigen Streitigkeiten, sodass nach Pellers Tod Vorra 1710 wieder an Tetzel überlassen wurde gegen Verrechnung mit Anna Marias Erbteil.

Am 2. August 1728 starb der 68-jährige Gustav Georg Tetzel als letzter männlicher Spross seiner Linie in Vorra. Die 1684 geborene Tochter Maria Helena heiratete schließlich 1736 den verwitweten Christoph Wilhelm Scheurl von Defersdorf [vgl. Schwarzenbruck I]. Sie hatte sich mit einer Armenstiftung und anderen Wohltaten um Vorra verdient gemacht und starb 1743 kinderlos, ihr Mann sechs Jahre später. Dessen Sohn aus erster Ehe Jacob Wilhelm Scheurl trat 1749 das Erbe an. Er ließ den beim verheerenden Dorfbrand am 27. August 1780 zerstörten Herrensitz in vereinfachter Form wieder in Stand setzen. Das Gebäude aus Kalkbruchstein erhielt nicht mehr seinen markanten Dachaufbau, sondern wird seither von einem Halbwalmdach gedeckt.

Nach dem Tod Jacob Wilhelms erbten 1783 die Söhne Christian Wilhelm (1763–1853) und Karl Jakob Scheurl die Grundherrschaften Schwarzenbruck und Vorra und verwalteten sie gemeinsam. 1801 entschied ein Los die Übernahme Vorras durch Christian Wilhelm. Als er 1853 im Alter von 90 Jahren starb, hatte er die Eingliederung der Hofmark ins Königreich Bayern 1806, die vorübergehende Verleihung der Patrimonialgerichtsbarkeit (1819 bis 1837) und schließlich 1848 die gesetzliche Aufhebung der Grundherrschaft erlebt. Schon vor dem Tod des letzten Scheurl zu Vorra, der die Töchter Dorothea Jakobina Wilhelmina (1788–1856), Sophie Maria Christina und Helena Jakobina Karolina hinterließ, soll sich der Ehemann der Letzteren, Franz Ludwig Karl Julius Freiherr von Soden (1790–1869), an der Verwaltung beteiligt haben; zumindest werden seine regelmäßigen Sommeraufenthalte im Herrenhaus überliefert. Als seine Gemahlin 1861 kinderlos verstarb, fiel ihr Erbteil an die Schwester Sophie Maria Christina, die sich sehr der armen Bevölkerung annahm und die „Sophienstiftung“ und die „Scheurlsche Weihnachtsbestimmung“ ins Leben rief.

Bereits zwei Jahre bevor sie 1891 im 92. Lebensjahr starb, trat der von ihr testamentarisch vorgesehene Neffe ihres Schwagers Julius August Freiherr von Soden (1846–1921) das Erbe an. Mit dem Bau des neuen Schlosses 1890/91 [vgl. Vorra II] verlor das Herrenhaus seine bisherige Funktion und wurde, nach einer Renovierung, von nun an als Nebenhaus genutzt. Das mittlerweile „altes Schloss“ genannte Gebäude teilte als Bestandteil des herrschaftlichen Anwesens dessen Schicksal, das schließlich 1955 zur Einrichtung eines Schullandheimes führte. Diese Nutzung besteht bis heute. Mit Umbauten, die den historischen Bestand vermutlich vor allem im Erdgeschoss erheblich beeinträchtigten, wurden das ehemalige Herrenhaus dem Heimbetrieb angepasst und im Erdgeschoss ein Bastelraum sowie im Ober- und ersten Dachgeschoss Übernachtungsräume für die Gäste des Heimes eingerichtet. Die Putzfassaden weisen keinerlei Schmuck auf, im Inneren finden sich jedoch noch barocke Zweifüllungstüren mit geohrten Bekleidungen und Stuckdecken vermutlich aus der Zeit des Wiederaufbaus um 1781.

Quellen


StAN SchlossA Vorra Nr. 4, 10, fol. 210 r.

Müllner III, S. 341.

Literatur


KDM Hersbruck, S. 289 f, 297-299, mit Grundriss.

HAB Lauf-Hersbruck, S. 17 f, 104, 138 f, 153.

Alberti, Volker / Baumann, Lorenz / Holz, Horst: Burgen und Schlösser in Hersbruck und Umgebung. Oberes Pegnitztal (= Adelssitze in Franken Bd. 3). Simmelsdorf-Hüttenbach 1999, S. 66-69.

Drechsel, Theodor: Chronik des Dorfes Vorra. Vorra 1924, S. 30-34, 39-44, 54-61.

Fleischmann, Peter: Peter Ermer (um 1560–1632). Ein bisher unbekannter Kartograph in Hersbruck. In: MVGN 76 (1989), S. 244 f.

Ders.: Der Nürnberger Zeichner, Baumeister und Kartograph Hans Bien (1591–1632) (=Ausstellungskatalog der Staatlichen Archive Bayerns Nr. 30). München 1991, S. 144 f, weist erstmals auf das Baudatum 1618; S. 131 Abbildung der gesamten Karte.

Meyer, Manfred: Vorra – Ein Heimatbuch. Vorra 1978, S. 49-97, 118-120, mit Kartenausschnitten, Ortsansichten und Porträts von Schlossbesitzern.

Seibold, Gerhard: Die Viatis und Peller. Beiträge zur Geschichte ihrer Handelsgesellschaft. Köln-Wien 1977, S. 382 f, 386, 398.

Voit, Grundherrschaften Hersbruck S. 38 f.


Abbildung

Ansicht des Herrensitzes bei der Kirche mit dem 1601 erbauten Zehntkasten und dem Herrenhaus von 1618, gezeichnet und koloriert von Hans Bien 1628 (StAN)

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